1
tao in worte gefasst
ist nicht tao
jedes kind bekommt einen namen
um über es zu sprechen
sprache und denken sind begrenzt
tao ist unbegrenzt
weder alles noch nichts
ewig allumfassend
jenseits aller worte
anfang allen gebärens
alles entspringt derselben
unergründlichen quelle
dort wo das tiefe am tiefsten tief in der tiefe tieft
2
bewerte ich etwas als gut
ist anderes schlecht
bewerte ich etwas als schön
ist anderes hässlich
sein oder nicht sein
richtig oder falsch
arm oder reich
dick oder dünn
jedes verbirgt seinen gegenpol
ich lege keinen wert auf wertung
lasse situationen kommen und gehen
handle
denke nicht an erfolg oder mißerfolg
ist mein werk getan
vergesse ich es.
3
anhaften an besitz und erfolg
schafft abhängigkeit
innere leere
ängste entstehen
neidische blicke
auf besitz und erfolg anderer
schafft misstrauen
groll
stärkt begehren
besitz und erfolg sind nicht verkehrt
gebe ich ihnen keinen wert
ist mein geist entleert
meine mitte gestärkt
vertraue meinem potential
fließ ich mit tao allemal
4
tao
quelle
unerschöpflich
leer
angefüllt
unendliche möglichkeiten
klar
durchlässig
unsichtbar ohne form
ausgleichend
wirkt in allem
niemand weiß was tao erschuf
tao ist immer da
5
tao
ohne gefühl
mensch und ding
sind tao egal
weder gut noch schlecht
kommt hier zu seinem recht
ich bin leer
frei von urteil
ohne geschichte
raum für die kraft
die meine natur erschafft
6
tao
große mutter
urweiblich
passiv empfangend
in sich ruhend
gebiert unendliche welten
ewig während
allgegenwärtig
im wirken mühelos
7
tao
nie geboren
nie gestorben
ohne eigeninteressen
steht tao allen wesen zur verfügung
ich trete zurück
bin weit voraus
gebe mein selbst auf
so bleibt es erhalten
nichts mein eigen
wird es vollendet
8
tao
wasser
natürlich
durchdringt alles
fördert unbemerkt leben
zutiefst ich selbst
weder vergleichend noch bewertend
im denken einfach
im umgang mit anderen präsent
im führungsstil voller vertrauen
handle ich zum richtigen zeitpunkt
9
fülle ich meine schale bis zum rand
wird sie überlaufen
schärfe dauernd mein messer
wird es stumpf
jage nach geld und sicherheit
wird mein herz sich niemals öffnen
ringe um den beifall der menschen
werde ich ihr gefangener
sein werk vollbringen
sich dann zurückziehen
tao
10
kann ich mich von meinen herumirrenden gedanken befreien
im ursprünglichen einssein ruhen
meinen körper biegsam werden lassen
dass er einem grashalm im wind gleicht
meine innenschau klären
dass ich licht in mir sehe
menschen lieben und führen
ohne ihnen meinen willen aufzuzwingen
aufgaben bewältigen
indem ich ihnen freien lauf lasse
die identifikation mit meinen gedanken aufgeben
die dinge sehen wie sie sind
besitzen ohne zu besitzen
handeln ohne zu handeln
führen ohne zu führen
gebären und nähren
tao
11
viele speichen gehören zu einem rad
ton wird zu einem gefäß geformt
holz wird für ein haus gezimmert
durch die leere entsteht ein jedes
das was da ist
erscheint
durch das was nicht da ist
12
farben machen blind
klänge taub
gewürze stumpfen ab
begierde dörrt das herz aus
gedanken verwirren den geist
ich beobachte
vertraue meiner inneren kraft
lasse alles kommen und gehen
mein herz ist offen wie der himmel
13
erfolg beinhaltet misserfolg
hoffnung beinhaltet angst
steige ich die leiter hinauf oder hinunter
es bleibt wackelig
mit beiden beinen auf dem boden
erlange ich gleichgewicht
hoffnung und angst sind trugbilder
sie entstehen aus meinem selbstbild
haben keine substanz
erfahre ich selbstlosigkeit
verschwinden hoffnung und angst
vertraue ich der erfahrung des soseins
achte und liebe ich die welt als mein selbst
14
schau
es ist nicht zu sehen
horch
es ist nicht zu hören
greif
es ist nicht zu fassen
oben nicht hell
unten nicht dunkel
form die alle formen in sich einschließt
ein bildloses bild
ich gehe tao entgegen
sehe nicht seinen anfang
folge tao nach
sehe nicht sein ende
unergründlich
unvorstellbar
jenseits aller fantasie
tao endet niemals
kehrt ins nicht zurück
ich kann tao nicht kennen
nur sein
15
ich bin feinfühlig
geheimnisvoll
scharfsinnig
zu tiefgründig um verstanden zu werden
nur mein verhalten lässt sich beschreiben
zögernd
vorsichtig
wie jemand der über einen gefrorenen bach geht
wachsam
immer bereit
wie ein Tiger der den dschungel durchquert
zurückhaltend
wie ein gast
nachgiebig
wie blätter im wind
pur
wie unbehauenes holz
weit und tief
wie ein tal
klar und rein
wie wasser
wer sonst kann warten
regungslos verharren
bis der schlamm sich setzt
das wasser klar ist
die handlung sich von selbst ergibt
ich strebe nicht nach erfüllung
begehre nichts
neues kann mich nicht blenden
bin immer bereit
alles willkommen zu heißen
16
alles auf erden folgt dem selben lauf
ich beobachte seine wiederkehr
um leere zu erfahren
bewahre ich stille
jedes wesen im universum
kehrt zur quelle zurück
heimkehr zur quelle heißt
in die stille gehen
erkenntnis ist allumfassend
nichterkenntnis schafft verwirrung
im wunder tao versunken
kann ich alles bewältigen
kommt der tod
bin ich bereit
17
die besten führungskräfte sind die
von denen kaum jemand weiß
die nächst besten
die gehuldigt und geliebt werden
dann kommen jene
die gefürchtet und verachtet werden
wer vertraut
dem wird vertrauen entgegengebracht
wahre führungskräfte brauchen keine worte
ist ihr werk vollendet
die tat vollbracht
wird gesagt
es geschah in der nacht
18
lebe ich tao nicht
tauchen rechtschaffenheit und klugheit auf
moral und heuchelei folgen
leben familien nicht im einklang
verhalten sich die kinder pflichtbewusst
wenn das land im chaos versinkt
entsteht nationalismus
19
gebe ich heiligkeit und klugheit auf
schaffe moral und gesetze ab
wird es sich positiv auswirken
verzichte ich auf besitzdenken und gewinnsucht
korruption und kriminalität verschwinden
ich bleibe in meiner mitte
lass allen dingen freien lauf
20
gib die kontrolle auf
deine ängste haben ein ende
besteht ein unterschied zwischen ja und nein
wie weit sind gut und böse voneinander entfernt
fürchtest du dich nur weil andere sich fürchten
schätzt du was andere schätzen
du bist aufgeregt
wie bei einer großen feier
ich bleibe still
unberührt
bin allein
wandere ziellos umher
habe kein zuhause mehr
du hast alles was du brauchst
bist hell und klar
ich besitze nichts
mein geist ist leer
trübe verhangen
du bist scharfsinnig und klug
ich bin langweilig und dumm
ich treibe dahin wie die wellen des meeres
du hast ein ziel
ich weiß von nichts
bin müßig wie ein taugenichts
und auch mich nähren die brüste
der großen mutter
21
tao
unbegreiflich
dunkel
unergründlich
birgt die keimkraft
keimkraft ist wirklichkeit
ihr inneres höchste gewissheit
tao
immer da
vor zeit und raum
jenseits von sein und nicht sein
birgt alle bilder und dinge
woher ich das weiß
ich schaue in mich hinein
22
bin ich halb
werde ich ganz
bin ich krumm
werde ich gerade
bin ich leer
werde ich voll
sterbe ich
werde ich leben
gebe ich alles hin
wird mir alles gegeben
so lebe ich tao
bin vorbild
stelle nichts zur schau
strahle
habe nichts zu beweisen
werde geachtet
rühme mich nicht
bekomme anerkennung
habe kein ziel
alles glückt
lebe ich tao
bin ich wahrhaft ich selbst
23
ich rede selten
höre den klang der welten
ein platzregen ist kurz
wolken ziehen schnell vorbei
ich öffne mich dem verlust
akzeptiere meinen frust
öffne mich der einsicht
sinke in sie hinein
vertraue
finde alles vor
verkörpere tao
24
stehe ich auf zehenspitzen
stehe ich nicht sicher
eile voraus
komme nicht weit
versuche zu glänzen
stelle mein licht in den schatten
definiere mich selbst
erfahre nicht wer ich bin
habe macht über andere
kann mir keine geben
klammere mich an mein tun
erschaffe nichts von dauer
ich tue was zu tun ist
dann gehe ich
25
es gibt etwas chaotischer art
das vor himmel und erde ward
tonlos raumlos
unverändert auf sich gestellt
ich kann es ansehen als mutter der welt
kenne den namen nicht
sage tao damit es ein wort erhält
bemühe ich mich um beschreibung
sage ich groß
ewig strömend
zurückkehrend
unendlich weit
wie eine matroschka
enthält tao
universum
erde
mensch
der mensch folgt der erde
die erde dem universum
das universum tao
tao folgt tao
26
das schwere im leichten
die stille in der unruhe
wandere den ganzen tag
ohne aus dem haus zu gehen
herrliches vor augen
weile ich im allein sein
wozu herum sausen
lasse ich mich hin und her wehen
rastlos antreiben
verliere ich mich selbst
27
als reisender
habe ich kein ziel
als künstler
folge ich meiner intuition
als wissenschaftler
halte ich meinen geist leer
ich bin offen
alles ist mir gleich bedeutend
bin schüler und lehrer zugleich
28
ich erkenne das weibliche und männliche in mir
würdige mein inneres kind
erkenne mein licht
würdige das dunkle
sehe meine innere welt
entdecke das formlose
erfahre das unendliche
meine welt gestaltet sich in der leere
erkenne meine innere stärke
würdige meine schwäche
bin das tal der welt
tao verlässt mich nicht
wird mich führen
ich kehre zurück zur ursprünglichkeit
ich kenne die welt
halte mich an die leere
fülle jeden raum
29
glaube ich die welt zu verbessern
zerstöre ich sie
die welt ist vollkommen
halte ich sie fest
verliere ich sie
ich bleibe in meiner mitte
kontrolliere nichts
verändere nichts
30
ich lebe tao
erzwinge keine entscheidungen
besiege keine feinde
jede kraft beinhaltet gegenkraft
gewalt in guter absicht will beherrschen
ereignisse zu kontrollieren
richtet sich gegen tao
ich überzeuge niemanden
bin im frieden
brauche keinen beifall
akzeptiere mich
so akzeptiert mich die welt
erledige meine arbeit
und damit gut
31
ich folge tao
meide waffen
wünsche niemanden schaden
kenne keine mordlust
habe mitgefühl
benutze waffen in höchster not
freue mich nicht über den sieg
feinde sind menschen wie ich selbst
getrieben von angst
frieden ist mein höchstes ansinnen
ist dieser in gefahr
kann auch ich nicht zufrieden sein
32
tao
unbenannt
schlicht
unformbar
gelingt es
tao in einfachheit zu folgen
im richtigen moment inne zu halten
zu erkennen dass nichts von dauer ist
nehmen die dinge ihren natürlichen lauf
menschen leben in frieden
wenn es nicht ihr bestreben ist
himmel und erde verschmelzen
tropfen süßen taus fallen herab
fließen zurück in die heimat
in den ozean
33
bezwinge ich andere
erkenne ich meine unbezwingbarkeit nicht
fühle ich mich im mangel
erkenne ich die fülle nicht
erkenne ich mich nicht
erkenne ich den anderen nicht
ich weile in meinem zentrum
öffne mich dem tod im leben
erkenne meine unsterblichkeit
34
alles ist tao
alles geht daraus hervor
nichts wird daraus erschaffen
vollbringt aufgaben
hegt und pflegt
ist frei von verlangen
alle wesen wenden sich tao zu
erwartet keine anerkennung
will nicht beherrschen
der größe nicht bewusst
deshalb wahrhaft groß
35
spreche ich von tao
wird es eintönig und fade
schaue ich
sehe ich nicht
horche ich
höre ich nicht
lebe ich tao
ist es unerschöpflich
finde freiheit
auch im leiden der welt
36
großes liegt im kleinen
starkes im schwachen
erschaffen im aufgeben
geben im nehmen
das ist erkennen
es braucht keine lehre
nur ein vorbild
37
tao handelt nie
alles wird getan
lebe ich tao
finde darin meine mitte
wandelt sich die welt
gemäß ihrem natürlichen rhythmus
erscheint im prozess des wandels
erneut das begehren zu handeln
erinnere ich mich
schaue den baum
er ist frei von begehren
diese erkenntnis
bringt mich in einklang mit tao
38
ich bemühe mich nicht um macht
bin wahrhaft mächtig
du greifst nach macht
hast nie genug davon
ich tue nichts
nichts bleibt ungetan
du tust ständig irgendetwas
viel bleibt ungetan
ich handle
hab keinen grund dafür
der gerechte handelt
hat einen grund dafür
der moralist handelt
hört kein echo
krempelt die ärmel hoch
wendet gewalt an
tao ging verloren
tugend tauchte auf
tugend ging verloren
güte tauchte auf
güte ging verloren
gerechtigkeit tauchte auf
gerechtigkeit ging verloren
moral tauchte auf
ich vertraue
schaue nach innen
weile in fülle
lebe aus dem sein
39
vor dem anfang war tao
genährt vom atem tao
schreitet die evolution fort
mit dem urknall
wurde allem atem eingehaucht
die erde wurde fest
der himmel klar
das wasser rein
die täler blühten
die wesen wurden lebendig
die erde zerbricht
der himmel wird grau
das wasser trübe
die täler vertrocknen
die wesen sterben aus
der der tao lebt
beinhaltet alles
40
tao ist nicht
alles ist tao
bewegung und wiederkehr
41
als unbewusster mensch verlache ich tao
als bewusster folge ich tao und mal nicht
als erwachter lebe ich tao
scheine im dunkeln zu tappen
mich rückwärts zu bewegen
gehe vorwärts
der einfache weg scheint schwer
stärke schwach
form ohne gestalt
ton ohne klang
weisheit kindisch
reinheit befleckt
liebe kühl
tao scheint unsichtbar
ist alles
42
tao beinhaltet die eins
die eins die zwei
die zwei die drei
die drei die vielfalt
die vielfalt trägt die pole in sich
suche ich im außen
schlafe ich noch
fühle ich mich einsam
getrennt
habe ich das leben verpennt
ich sinke nach innen
bin wach
erkenne in allem harmonie
fließe ungehindert mit der lebensenergie
43
alles ist von nicht durchdrungen
flüssiges überwindet festes
ohne handeln
der dinge lauf lassend
handle ich
im nicht handeln
lehre ohne worte
44
in oder out
erhoffe ich erfüllung von außen
moped oder rolls royce
hängt mein glücklich sein
vom materiellen ab
jackpot oder börsencrash
fühle ich mich lebendig
durch das elixier der gier
erkenne ich in allem den schein
bleibt nur sein
45
alles in seiner vollkommenheit
scheint unvollkommen
doch ist alles unvollkommene vollkommen
die fülle scheint leer
doch gibt sie sich unendlich her
weisheit scheint unwissend
kunst kunstlos
klarheit als angriff
habe ich
die unvollkommene vollkommenheit erkannt
genieße ich die fülle
bin teil des sich formenden
46
im einklang mit tao
dient meine produktivkraft
friedlichen zwecken
bin ich nicht im einklang
dient sie der rüstung
angst wird geschürt
ein feindbild entsteht
verleitet zum angriff
ich durchschaue die illusion der angst
innerer frieden stellt sich ein
47
trete aus mir heraus
erfahre weniger
blicke in die ferne
erkenne weniger
häufe wissen an
weiß weniger
ohne vor die tür zu treten
erfahre ich
ohne aus dem fenster zu blicken
erkenne ich
ohne zu wissen
weiß ich
ohne zu handeln
vollende ich
48
studiere wissen
erlerne
praktiziere tao
verlerne
weniger tun
nichts bleibt ungetan
das leben nicht stören
nur sein
wahre meisterschaft
49
ich habe ein offenes herz
ohne meinung
was andere gut heißen
schätze ich
was andere nicht gut heißen
schätze ich
menschen die vertrauen
vertraue ich
menschen die nicht vertrauen
vertraue ich
herz und verstand
offener raum
lebe still
inmitten der welt
50
mein verstand kennt keine illusion
mein körper keinen widerstand
weder denke ich über mein handeln nach
noch halte ich mich vom leben zurück
ich kann jeden augenblick sterben
halte an nichts fest
lebe den augenblick
51
tao kreiert
natur ernährt
wesen formen
weisheit vollendet
ich folge tao
greife nicht in den naturverlauf ein
achte das so sein der dinge
kreieren ohne besitz
ernähren ohne dank
formen ohne manipulation
vollenden ohne macht
52
folge ich dem geplapper in meinem kopf
packt mich der wahnsinn beim schopf
bin ich in begierde gefangen
habe ich mich an den füßen aufgehangen
habe ich tao geschaut
hab ich mein selbst geklaut
identifikationen hören auf
stille spricht
verbundenheit mit allem
leben in licht
53
tao ist einfach und leicht
ich bin kompliziert und schwer
getrieben von angst
verlockt von gier
blind durch ignoranz und hochmut
treibe ich in verantwortungslosigkeit
konditioniert folge ich umwegen
fließe nicht mit tao
54
ich bringe bewusstheit
in jeden winkel meines seins
präsenz in mein handeln
bin vorbild
für kinder
freunde
gemeinschaft
das große ganze
erblüht
woher ich das weiß
ich schaue in mich hinein
55
ein neugeborenes
erzählt von tao
ein bündel purer energie
weich
biegsam
kraftvoll strampelnd
schreit aus vollem halse
ohne heiser zu werden
weiß nichts von sexualität
sein glied ersteift
in reiner unschuld
im einklang mit tao
handle ich aus dem bewusstsein
des ständig neu geborenen
meine lebenskraft
gleicht einem immer währenden feuer
56
sein oder schein
ich weiß
spreche nicht
ich spreche
weiß nicht
worte
gefühle
stimmungen
geschichten
sind wellen die kommen und gehen
ich bin der ozean
fließe mit tao
weder zuneigung noch abneigung
gewinn noch verlust
erfolg noch mißerfolg
sind von bedeutung
hingabe passiert
im ewigen sein
57
führe ich krieg
brauche ich strategie und gewalt
regiere mit recht und kontrolle
verbote entheben der verantwortung
hilfsgelder schmälern die selbstachtung
gesetze schaffen gesetzesbrecher
lebe ich tao
führe ich menschen wahrhaft
frieden entsteht ohne waffen
ich mische mich nicht ein
handle im nicht handeln
bevorzuge die stille
58
die welle des glücks
entspringt dem tal des unglücks
das tal des unglücks
verbirgt sich in der welle des glücks
will ich andere glücklich machen
ist unglück schon in sicht
ich spreche klar und direkt
ohne zu verletzen
weise auf fehler hin
ohne recht zu haben
handle
ohne zu manipulieren
strahle
ohne zu blenden
59
führe ich menschen
braucht es einfachheit
in der einfachheit
fließe ich mit tao
fließe ich mit tao
bin ich ohne wünsche
ohne wünsche
bin ich hingebungsvoll wie die natur
in der hingabe
kann ich die dinge nehmen wie sie sind
kann ich die dinge nehmen wie sie sind
lebe ich tao
lebe ich tao
schaue ich die ewigkeit
60
ich leite menschen
als würde ich kleine fische braten
bin sacht
stochere nicht viel herum
führe sie im einklang mit tao
erkenne die dämonen
angst
gewalt
machtgier
fühle sie in meinem innern
leiste keinen widerstand
sie verlieren ihre wirkkraft
verschwinden von selbst
61
tao
stille
weiblich und männlich vereint
ein reiches land stellt sich unter ein armes
unterstützt und erkennt es an
ein armes land stellt sich unter ein reiches
findet im dienen anerkennung
sie dienen sich gegenseitig
keiner muss sich verteidigen
jedes land ist wie ein fruchtbarer boden
in dem alle flüsse zusammenfließen
jeder ist willkommen
62
tao
allumfassend
niemand fällt aus ihm heraus
bietet dem einen schutz
ist dem anderen schatz
63
ich handle nicht der handlung wegen
schmecke nicht des geschmackes wegen
entdecke großes im kleinen
einfaches in der fülle
begegne schwierigen situationen
mit präsenz
verspreche nichts
halte wort
folge meiner intuition
will nichts erreichen
eins mit tao
64
ein baum wächst aus einem samenkorn
eine reise beginnt mit dem ersten schritt
gebe ich acht auf das beginnen
wird mein werk gelingen
ich umhülle den keimling
ohne ziel und verlangen
in ruhe und achtsamkeit
entfaltet sich tao
65
wissen
macht
reichtum
sind äußere erscheinungen
ich vertraue der einfachheit
entdecke darin die fülle
bin vorbild
führe die menschen
im sinne tao
66
tao
wie das meer
empfänglich
jeden fluß aufnehmend
ich vertraue meiner inneren führung
bin empfänglich
in dieser ergebenheit
ziehe ich menschen an
sie fühlen sich gesehen
gewürdigt
bleiben in ihrer verantwortung
entfalten ihr potential
67
tao folgen
ich sinke in mein innerstes
entdecke die drei schätze
präsenz
achtsamkeit
einfachheit
mit dem sein was gerade ist
es achten und würdigen
überlasse ich mich dem wunder
68
ich bin mir meiner
gefühle
empfindungen
stimmungen bewusst
kenne meine stärken
meine schwächen
bin bereit mich meinem gegenüber
mit allem was ist offen zu zeigen
ich verspüre keinen impuls
widerstände jeglicher art auf andere
zu projizieren
zu konkurrieren
ihnen meinen willen aufzuzwingen
69
geht es in meinem leben
um gewinnen und verlieren
um strategie und taktik
findet widerstand in mir statt
ich bleibe in einem konflikt präsent
fühle meine gefühle
höre und sehe mein gegenüber
wie ein aikidoka
der in seiner mitte bleibt
seinem gegenüber ausweicht
ihm die chance gibt einsicht zu erlangen
70
will ich tao logisch verstehen
gar philosophisch erhöhen
mit dem herzen gehört
mit dem herzen geschaut
ist tao leicht zu begreifen
leicht zu erleben
quelle allen seins
wie kann mein verstand tao je erfassen
71
glaube ich zu wissen
verhindere ich lebendigkeit und staunen
bin der illusion erlegen
ich weiß
dass ich nicht weiß
bin geheilt vom wahn des wissens
bin frei
72
habe ich mich selbst erkannt
handle ich in demut
führe andere mit klarheit
stärke ihr vertrauen
sie handeln aus eigener autorität
und verantwortung
können mir ohne angst begegnen
so habe ich macht im sinne tao erlangt
73
habe ich den mut
meiner natur zu folgen
das leben zu lassen
ohne einzugreifen
habe ich den mut
ohne ziel
ohne etwas zu beweisen
ohne bedeutend zu sein
einfach nur als mensch zu leben
tao
verhält sich still
gibt antwort
handelt nicht
erschafft alles
bleibt bescheiden
ist groß
einfach
allumfassend
wie ein netz umhüllt es alles
weitmaschig
nichts geht verloren
74
der tod
teil des lebens
fürchte ich ihn
bin ich bereit über andere zu richten
die angst vor dem tod
führt zum töten
habe ich die angst überwunden
bin ich frei
75
will der eine immer mehr
bleibt die schale des anderen leer
benutzt der eine seine wut
verliert der andere seinen mut
der der so am leben hängt
dem tod nur verachtung schenkt
der der nicht am leben klebt
weiß wie er es gelassen lebt
der der das leben wenig stört
ist der der das leben wirklich hört
76
weich werden wir geboren
der mensch formt den menschen
mancher wird dabei hart
ist der mensch sanft
biegsam
fließt mit dem leben
bleibt er weich und lebendig
ist der mensch unbeugsam
kontrollierend
im wiederstand
wird er hart
ist schon tot im leben
der harte wird ewig suchen
der weiche ist schon da
77
übermaß und mangel
zeugen von unausgewogenheit
der gierige
nimmersatt
im übermaß oder im mangel
füttert er atemlos seine begierden
wer den bogen überspannt
schießt übers ziel hinaus
wer den bogen wenig spannt
schießt sich in den fuß
wer den bogen raus hat
ist trefflich im geiste
ich spanne meinen bogen so
dass jegliches wollen zurücktritt
mein höheres selbst gibt das ziel vor
ich ziele nach innen
pfeil und bogen
sind mittel
sich im inneren zu treffen
das ist taoart
78
weiches ist hart
schwaches stark
paradox scheinen wahre worte
nichts ist leichter
sanfter
unsichtbarer als luft
zu einem sturm entfacht
entwurzelt sie bäume
formt aus stillem wasser
flutwellen die alles wegschwemmen
ich bin
äußerlich weich
schwach
unscheinbar
innerlich hart
stark
präsent
79
werden verträge gebrochen
absprachen nicht eingehalten
entsteht verletzung
schuldzuweisung
groll
sind die folge
poch ich auf mein recht
nimmt das drama kein ende
ich erfülle meinen teil der abmachung
mache mich nicht abhängig
von denen die es nicht tun
ich kann sie nicht weise machen
80
ich schaue mein inneres Land
ist es groß
ist es klein
wie ist seine form
gibt es grenzen
ist es hell
ist es dunkel
sehe ich andere lebewesen
oder bin ich allein
fühle ich mich genährt
oder im mangel
ist dort frieden
oder aufruhr
welche gefühle entstehen in mir
wenn ich mein land schaue
kann ich mich mit allem was dort ist verbinden
oder entsteht in mir der wunsch zu flüchten
ich schaue mein inneres land
und habe mich erkannt
81
wahre worte sind direkt
klar
absichtslos
schöne worte sind indirekt
unklar
absichtsvoll
sie wollen schmeicheln
überzeugen
herausragen
stellen die eine meinung ins licht
die andere in den schatten
wahre worte sind nicht schön
schöne worte sind nicht wahr
nicht reden
tao leben
Das tao te king ist wahrscheinlich der am meisten übersetzte und interpretierte Text der Welt. Das ist insofern keine Überraschung, da die Möglichkeit der unterschiedlichen Interpretationen durch die spezielle Struktur der chinesischen Sprache in gewisser Weise schon vorgegeben ist.
„Das in Worte gefasste Tao ist nicht das wahre Tao.“ So beginnt das Tao Te King und etwas später, in Vers14 heißt es:„Du kannst das Tao nicht kennen aber es sein.“
Dennoch:„ Jedes Kind bekommt einen Namen, um über es zu sprechen.“ Und so wie jede Mutter und jeder Vater weiß, dass der Name nicht das Kind ist, denn das ist lebendig, unberechenbar und verändert sich ständig, so ist das hier vorliegende Tao Te King nicht das Tao.
Während der Arbeit am Tao wurde uns immer wieder deutlich, dass das, was da eigentlich mitgeteilt werden möchte, nicht über den Verstand vermittelt werden kann. Weshalb das ganze Tao Te King konsequenterweise nur aus dem ersten Satz bestehen dürfte, oder noch radikaler: aus leeren Seiten! Immer wieder führt uns der Verstand in die Bewertung, in die Unterscheidung, will uns sagen was richtig, falsch oder besser ist.
Laotses Texte sind oft paradox, dem Leben näher als der Logik oder der Vernunft:„Schau und es ist nicht zu sehen – Horch und es ist nicht zu hören“. Diese Worte wollen uns nicht sagen, wo es lang geht oder wie wir leben sollen, sondern wollen eher wachrütteln und provozieren:„Gib das Lernen auf und deine Sorgen haben ein Ende!“
Nicht reden, tao leben.
Ingrid Weber und Stephan Schwartz November 2015