1

 

 

 

tao in worte gefasst

ist nicht tao

 

jedes kind bekommt einen namen

um über es zu sprechen

                                           

sprache und denken sind begrenzt

tao ist unbegrenzt

weder alles noch nichts

ewig allumfassend 

 

jenseits aller worte

anfang allen gebärens

 

alles entspringt derselben 

unergründlichen quelle

 

dort wo das tiefe am tiefsten tief in der tiefe tieft

 

 

 

 

 

 

2

 

 

 

bewerte ich etwas als gut

ist anderes schlecht

bewerte ich etwas als schön

ist anderes hässlich

 

sein oder nicht sein

richtig oder falsch

arm oder reich

dick oder dünn

jedes verbirgt seinen gegenpol

 

ich lege keinen wert auf wertung

lasse situationen kommen und gehen 

handle 

denke nicht an erfolg oder mißerfolg

 

ist mein werk getan

vergesse ich es.

 

 

 

 

 

 

3

 

 

 

anhaften an besitz und erfolg

schafft abhängigkeit 

innere leere

ängste entstehen

 

neidische blicke 

auf  besitz und erfolg anderer

schafft misstrauen  

groll 

stärkt begehren

 

besitz und erfolg sind nicht verkehrt

gebe ich ihnen keinen wert

 

ist mein geist entleert

meine mitte gestärkt

vertraue meinem potential

fließ ich mit tao allemal

 

 

 

 

 

 

4

 

 

 

tao

quelle

unerschöpflich

leer

angefüllt

unendliche möglichkeiten

klar 

durchlässig

unsichtbar ohne form

ausgleichend

wirkt in allem

 

niemand weiß was tao erschuf

tao ist immer da

 

 

 

 

 

 

5

 

 

 

tao

ohne gefühl

 

 

mensch und ding

sind tao egal

 

weder gut noch schlecht

kommt hier zu seinem recht

 

ich bin leer

  frei von urteil

ohne geschichte

 

raum für die kraft 

die meine natur erschafft

 

 

 

 

 

 

6

 

 

 

tao 

große mutter

urweiblich

passiv empfangend

in sich ruhend

gebiert unendliche welten

 

ewig während 

allgegenwärtig

im wirken mühelos

 

 

 

 

 

 

7

 

 

 

tao 

nie geboren

nie gestorben

 

ohne eigeninteressen

steht tao allen wesen zur verfügung

 

ich trete zurück

bin weit voraus

 

gebe mein selbst auf

so bleibt es erhalten

 

nichts mein eigen 

wird es vollendet

 

 

 

 

 

 

8

 

 

 

tao 

wasser

natürlich 

durchdringt alles

fördert unbemerkt leben 

 

  zutiefst ich selbst

weder vergleichend noch bewertend

im denken einfach

im umgang mit anderen präsent

im führungsstil voller vertrauen

handle ich zum richtigen zeitpunkt

 

 

 

 

 

 

9

 

 

 

fülle ich meine schale bis zum rand

wird sie überlaufen

 

schärfe dauernd mein messer

wird es stumpf 

 

jage nach geld und sicherheit

wird mein herz sich niemals öffnen

 

ringe um den beifall der menschen

werde ich ihr gefangener 

 

sein werk vollbringen

sich dann zurückziehen

tao

 

 

 

 

 

 

10

 

 

 

kann ich mich von meinen herumirrenden gedanken befreien 

im ursprünglichen einssein ruhen

 

meinen körper biegsam werden lassen

dass er einem grashalm im wind gleicht

 

meine innenschau klären

dass ich licht in mir sehe

 

menschen lieben und führen

ohne ihnen meinen willen aufzuzwingen

 

aufgaben bewältigen

indem ich ihnen freien lauf lasse

 

die identifikation mit meinen gedanken aufgeben

die dinge sehen wie sie sind

 

 

besitzen ohne zu besitzen

handeln ohne zu handeln

führen ohne zu führen

 

gebären und nähren

tao

 

 

 

 

 

 

11

 

 

 

viele speichen gehören zu einem rad

ton wird zu einem gefäß geformt

holz wird für ein haus gezimmert 

durch die leere entsteht ein jedes

 

das was da ist

erscheint 

durch das was nicht da ist

 

 

 

 

 

 

12

 

 

 

farben machen blind

klänge taub

gewürze stumpfen ab

begierde dörrt das herz aus

gedanken verwirren den geist

 

 

ich beobachte

 

vertraue meiner inneren kraft

lasse alles kommen und gehen

mein herz ist offen wie der himmel

 

 

 

 

 

 

13

 

 

 

erfolg beinhaltet misserfolg

hoffnung beinhaltet angst

 

steige ich die leiter hinauf oder hinunter

es bleibt wackelig

 

mit beiden beinen auf dem boden

erlange ich gleichgewicht

 

hoffnung und angst sind trugbilder

sie entstehen aus meinem selbstbild

haben keine substanz

 

erfahre ich selbstlosigkeit

verschwinden hoffnung und angst 

 

vertraue ich der erfahrung des soseins   

achte und liebe ich die welt als mein selbst

 

 

 

 

 

 

14

 

 

 

schau

es ist nicht zu sehen

 

horch

es ist nicht zu hören

 

greif

es ist nicht zu fassen

 

oben nicht hell

unten nicht dunkel

 

form die alle formen in sich einschließt

ein bildloses bild

 

ich gehe tao entgegen

sehe nicht seinen anfang

 

folge tao nach

sehe nicht sein ende

 

unergründlich

unvorstellbar

jenseits aller fantasie

 

tao endet niemals

kehrt ins nicht zurück

 

ich kann tao nicht kennen

nur sein

 

 

 

 

 

 

15

 

 

 

ich bin feinfühlig

geheimnisvoll

scharfsinnig

zu tiefgründig um verstanden zu werden

nur mein verhalten lässt sich beschreiben

 

zögernd

vorsichtig

wie jemand der über einen gefrorenen bach geht

 

wachsam

immer bereit 

wie ein Tiger der den dschungel durchquert

 

zurückhaltend

wie ein gast

 

nachgiebig

wie blätter im wind

 

pur

wie unbehauenes holz

 

weit und tief

wie ein tal

 

klar und rein

wie wasser

 

wer sonst kann warten 

regungslos verharren

bis der schlamm sich setzt 

das wasser klar ist

die handlung sich von selbst ergibt

 

ich strebe nicht nach erfüllung

begehre nichts

neues kann mich nicht blenden

bin immer bereit

alles willkommen zu heißen

 

 

 

 

 

 

16

 

 

 

alles auf erden folgt dem selben lauf

ich beobachte seine wiederkehr

 

um leere zu erfahren

bewahre ich stille

 

jedes wesen im universum

kehrt zur quelle zurück

 

heimkehr zur quelle heißt

in die stille gehen

 

erkenntnis ist allumfassend

nichterkenntnis schafft verwirrung

 

im wunder tao versunken

kann ich alles bewältigen

 

kommt der tod

bin ich bereit

 

 

 

 

 

 

17

 

 

 

die besten führungskräfte sind die

von denen kaum jemand weiß 

die nächst besten

die gehuldigt und geliebt werden

dann kommen jene

die gefürchtet und verachtet werden

 

wer vertraut

dem wird vertrauen entgegengebracht

wahre führungskräfte brauchen keine worte

 

ist ihr werk vollendet  

die tat vollbracht

  wird gesagt

es geschah in der nacht

 

 

 

 

 

 

18

 

 

 

lebe ich tao nicht

tauchen rechtschaffenheit und klugheit auf

moral und heuchelei folgen

 

leben familien nicht im einklang

verhalten sich die kinder pflichtbewusst

 

wenn das land im chaos versinkt

entsteht nationalismus

 

 

 

 

 

 

19

 

 

 

gebe ich heiligkeit und klugheit auf

schaffe moral und gesetze ab

wird es sich positiv auswirken

 

verzichte ich auf besitzdenken und gewinnsucht

korruption und kriminalität verschwinden

 

 

ich bleibe in meiner mitte

lass allen dingen freien lauf

 

 

 

 

 

 

20

 

 

 

gib die kontrolle auf

deine ängste haben ein ende

 

besteht ein unterschied zwischen ja und nein

wie weit sind gut und böse voneinander entfernt

 

fürchtest du dich nur weil andere sich fürchten

schätzt du was andere schätzen

 

  du bist aufgeregt

wie bei einer großen feier

 

ich bleibe still 

unberührt

bin allein

wandere ziellos umher

habe kein zuhause mehr

 

du hast alles was du brauchst

bist hell und klar

 

ich besitze nichts

mein geist ist leer

trübe verhangen

 

du bist scharfsinnig und klug

ich bin langweilig und dumm

ich treibe dahin wie die wellen des meeres

 

du hast ein ziel

ich weiß von nichts 

bin müßig wie ein taugenichts

und auch mich nähren die brüste 

der großen mutter

 

 

 

 

 

 

21

 

 

 

tao 

unbegreiflich

dunkel 

unergründlich

birgt die keimkraft

 

keimkraft ist wirklichkeit

ihr inneres höchste gewissheit

 

tao

immer da

vor zeit und raum 

jenseits von sein und nicht sein

birgt alle bilder und dinge

 

woher ich das weiß

ich schaue in mich hinein 

 

 

 

 

 

 

22

 

 

 

bin ich halb

werde ich ganz

 

bin ich krumm

werde ich gerade

 

bin ich leer

werde ich voll

 

sterbe ich

werde ich leben  

 

gebe ich alles hin

wird mir alles gegeben

 

so lebe ich tao

bin vorbild

 

stelle nichts zur schau 

strahle

 

habe nichts zu beweisen

werde geachtet

 

rühme mich nicht

bekomme anerkennung

 

habe kein ziel

  alles glückt

 

  

lebe ich tao 

bin ich wahrhaft ich selbst

 

 

 

 

 

 

23

 

 

 

ich rede selten  

höre den klang der welten

 

ein platzregen ist kurz

wolken ziehen schnell vorbei

 

ich öffne mich dem verlust

akzeptiere meinen frust

 

öffne mich der einsicht

sinke in sie hinein

 

vertraue 

finde alles vor

verkörpere tao

 

 

 

 

 

 

24

 

 

 

stehe ich auf zehenspitzen

stehe ich nicht sicher

 

eile voraus

komme nicht weit

 

versuche zu glänzen

stelle mein licht in den schatten

 

definiere mich selbst

erfahre nicht wer ich bin

 

habe macht über andere

kann mir keine geben

 

klammere mich an mein tun

erschaffe nichts von dauer

 

 

ich tue was zu tun ist

dann gehe ich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  25

 

 

 

es gibt etwas chaotischer art

das vor himmel und erde ward

tonlos  raumlos

unverändert auf  sich gestellt

ich kann es ansehen als mutter der welt

 

kenne den namen nicht

sage tao damit es ein wort erhält

 

bemühe ich mich um beschreibung

sage ich groß

ewig strömend 

zurückkehrend

unendlich weit

 

wie eine matroschka

enthält tao

universum

erde

mensch

 

der mensch folgt der erde

die erde dem universum

das universum tao

 

tao folgt tao

 

 

 

 

 

 

 

   26

 

 

 

das schwere im leichten

die stille in der unruhe

 

 

wandere den ganzen tag

ohne aus dem haus zu gehen

herrliches vor augen 

weile ich im allein sein

 

wozu herum sausen

 

lasse ich mich hin und her wehen

rastlos antreiben

verliere ich mich selbst

 

 

 

 

 

 

     27

 

 

 

als reisender 

habe ich kein ziel

als künstler 

folge ich meiner intuition

als wissenschaftler 

halte ich meinen geist leer

 

ich bin offen

alles ist mir gleich bedeutend

bin schüler und lehrer zugleich

 

 

 

 

 

 

28

 

 

 

ich erkenne das weibliche und männliche in mir

würdige mein inneres kind

 

erkenne mein licht

würdige das dunkle 

sehe meine innere welt

 

entdecke das formlose

erfahre das unendliche

meine welt gestaltet sich in der leere

 

erkenne meine innere stärke

würdige meine schwäche

bin das tal der welt

 

tao verlässt mich nicht

wird mich führen

ich kehre zurück zur ursprünglichkeit

 

 

ich kenne die welt

halte mich an die leere

fülle jeden raum

 

 

 

 

 

 

29

 

 

 

glaube ich die welt zu verbessern 

zerstöre ich sie

                    die welt ist vollkommen 

 

halte ich sie fest

verliere ich sie

 

                    ich bleibe in meiner mitte

kontrolliere nichts

verändere nichts

 

 

 

 

 

 

30

 

 

 

ich lebe tao

erzwinge keine entscheidungen

besiege keine feinde

 

jede kraft beinhaltet gegenkraft

gewalt in guter absicht will beherrschen

ereignisse zu kontrollieren

richtet sich gegen tao 

 

ich überzeuge niemanden

bin im frieden 

brauche keinen beifall

akzeptiere mich

so akzeptiert mich die welt

 

erledige meine arbeit

und damit gut

 

 

 

 

 

 

31

 

 

 

ich folge tao 

meide waffen 

 

wünsche niemanden schaden

kenne keine mordlust

habe mitgefühl  

 

benutze waffen in höchster not

freue mich nicht über den sieg

 

feinde sind menschen wie ich selbst

getrieben von angst

 

frieden ist mein höchstes ansinnen

ist dieser in gefahr

kann auch ich nicht zufrieden sein

 

 

 

 

 

 

32

 

 

 

tao 

unbenannt

schlicht

unformbar

 

gelingt es 

tao in einfachheit zu folgen

im richtigen moment inne zu halten

zu erkennen dass nichts von dauer ist

nehmen die dinge ihren natürlichen lauf

 

menschen leben in frieden

wenn es nicht ihr bestreben ist

 

himmel und erde verschmelzen

tropfen süßen taus fallen herab

fließen zurück in die heimat

in den ozean

 

 

 

 

 

 

33

 

 

 

bezwinge ich andere 

erkenne ich meine unbezwingbarkeit nicht

 

fühle ich mich im mangel 

erkenne ich die fülle nicht

 

erkenne ich mich nicht 

erkenne ich den anderen nicht

 

 

ich weile in meinem zentrum

öffne mich dem tod im leben

erkenne meine unsterblichkeit

 

 

 

 

 

 

34

 

 

 

alles ist tao 

alles geht daraus hervor  

nichts wird daraus erschaffen

 

vollbringt aufgaben

hegt und pflegt 

ist frei von verlangen

alle wesen wenden sich tao zu

 

erwartet keine anerkennung

will nicht beherrschen

der größe nicht bewusst

deshalb wahrhaft groß

 

 

 

 

 

 

35

 

 

 

spreche ich von tao

wird es eintönig und fade

 

schaue ich

sehe ich nicht

horche ich

höre ich nicht

 

lebe ich tao

ist es unerschöpflich

 

finde freiheit 

auch im leiden der welt

 

 

 

 

 

 

36

 

 

 

großes liegt im kleinen

starkes im schwachen

erschaffen im aufgeben

geben im nehmen

 

das ist erkennen

es braucht keine lehre

nur ein vorbild 

 

 

 

 

 

 

37

 

 

 

tao handelt nie

alles wird getan

 

lebe ich tao   

finde darin meine mitte 

wandelt sich die welt

gemäß ihrem natürlichen rhythmus 

 

erscheint im prozess des wandels

erneut das begehren zu handeln

erinnere ich mich

 

schaue den baum

er ist frei von begehren

 

diese erkenntnis

bringt mich in einklang mit tao 

 

 

 

 

 

 

 38

 

  

 

 ich bemühe mich nicht um macht

 bin wahrhaft mächtig

 

du greifst nach macht

hast nie genug davon

 

ich tue nichts

nichts bleibt ungetan

 

du tust ständig irgendetwas

viel bleibt ungetan   

 

ich handle

hab keinen grund dafür

 

der gerechte handelt

hat einen grund dafür

 

der moralist handelt

hört kein echo 

krempelt die ärmel hoch

wendet gewalt an

 

tao ging verloren

tugend tauchte auf

 

tugend ging verloren

güte tauchte auf

 

güte ging verloren

gerechtigkeit tauchte auf

 

gerechtigkeit ging verloren

moral tauchte auf

 

ich vertraue

schaue nach innen

weile in fülle

lebe aus dem sein

 

 

 

 

 

 

39 

 

 

 

vor dem anfang war tao

 

genährt vom atem tao 

schreitet die evolution fort

 

mit dem urknall

wurde allem atem eingehaucht

 

die erde wurde fest

der himmel klar

das wasser rein

die täler blühten

die wesen wurden lebendig

 

die erde zerbricht

der himmel wird grau

das wasser trübe

die täler vertrocknen

die wesen sterben aus

 

der der tao lebt 

beinhaltet alles

 

 

 

 

 

 

40

 

 

tao ist nicht

 

alles ist tao

bewegung und wiederkehr

 

 

 

 

 

 

41

 

 

 

als unbewusster mensch verlache ich tao

als bewusster folge ich tao und mal nicht

 

als erwachter lebe ich tao

                    scheine im dunkeln zu tappen

mich rückwärts zu bewegen

gehe vorwärts

 

der einfache weg scheint schwer

stärke  schwach

form ohne gestalt

ton ohne klang

weisheit  kindisch

reinheit  befleckt

liebe kühl

 

tao scheint unsichtbar

ist alles

 

 

 

 

 

 

42

 

 

 

tao beinhaltet die eins

die eins die zwei

die zwei die drei

die drei die vielfalt

                     die vielfalt trägt die pole in sich 

 

suche ich im außen

schlafe ich noch

 

fühle ich mich einsam 

getrennt

habe ich das leben verpennt

 

ich sinke nach innen

bin wach

erkenne in allem harmonie

fließe ungehindert mit der lebensenergie

 

 

 

 

 

 

43

 

 

 

alles ist von nicht durchdrungen

flüssiges überwindet festes

 

ohne handeln

der dinge lauf lassend 

handle ich

im nicht handeln 

 

lehre ohne worte

 

 

 

 

 

 

44

 

 

 

in oder out 

erhoffe ich erfüllung von außen

 

moped oder rolls royce 

hängt mein glücklich sein

vom materiellen ab

 

jackpot oder börsencrash 

fühle ich mich lebendig

durch das elixier der gier

 

erkenne ich in allem den schein

bleibt nur sein

 

 

 

 

 

 

45

 

 

 

alles in seiner vollkommenheit

scheint unvollkommen

doch ist alles unvollkommene vollkommen

 

die fülle scheint leer

doch gibt sie sich unendlich her

 

weisheit scheint unwissend

kunst kunstlos

klarheit als angriff

 

habe ich

die unvollkommene vollkommenheit erkannt

genieße ich die fülle

bin teil des sich formenden

 

 

 

 

 

 

46

 

 

 

im einklang mit tao

dient meine produktivkraft 

friedlichen zwecken

 

bin ich nicht im einklang

dient sie der rüstung

 

angst wird geschürt

ein feindbild entsteht

verleitet zum angriff

 

ich durchschaue die illusion der angst

innerer frieden stellt sich ein

 

 

 

 

 

 

47

 

 

 

trete aus mir heraus

erfahre weniger

 

blicke in die ferne 

erkenne weniger 

 

häufe wissen an

weiß weniger 

 

ohne vor die tür zu treten

erfahre ich 

 

ohne aus dem fenster zu blicken

erkenne ich

 

ohne zu wissen

weiß ich

 

 ohne zu handeln

vollende ich

 

 

 

 

 

 

48

 

 

 

studiere wissen 

erlerne

 

praktiziere tao 

verlerne

 

weniger tun

nichts bleibt ungetan

 

das leben nicht stören

nur sein

 

wahre meisterschaft

 

 

 

 

 

 

49

 

 

 

ich habe ein offenes herz

ohne meinung

 

was andere gut heißen 

schätze ich

was andere nicht gut heißen 

schätze ich 

 

menschen die vertrauen 

vertraue ich

menschen die nicht vertrauen

vertraue ich 

 

herz und verstand 

offener raum

lebe still 

inmitten der welt

 

 

 

 

 

 

50

 

 

 

mein verstand kennt keine illusion

mein körper keinen widerstand

 

weder denke ich über mein handeln nach

noch halte ich mich vom leben zurück

 

ich kann jeden augenblick sterben

halte an nichts fest

                                

                    lebe den augenblick

 

 

 

 

 

 

                         51

 

 

 

tao kreiert

natur ernährt

wesen formen

weisheit vollendet

 

ich folge tao

greife nicht in den naturverlauf ein

achte das so sein der dinge 

 

kreieren ohne besitz

ernähren ohne dank

formen ohne manipulation

vollenden ohne macht

 

 

 

 

 

 

52

 

 

 

folge ich dem geplapper in meinem kopf

packt mich der wahnsinn beim schopf

 

bin ich in begierde gefangen

habe ich mich an den füßen aufgehangen

 

habe ich tao geschaut

hab ich mein selbst geklaut

 

identifikationen hören auf

stille spricht

verbundenheit mit allem

leben in licht

 

 

 

 

 

 

53

 

 

 

tao ist einfach und leicht

ich bin kompliziert und schwer

 

getrieben von angst

verlockt von gier

blind durch ignoranz und hochmut

treibe ich in verantwortungslosigkeit

 

konditioniert folge ich umwegen

fließe nicht mit tao

 

 

 

 

 

 

54

 

 

 

ich bringe bewusstheit

in jeden winkel meines seins

präsenz in mein handeln

                             

  bin vorbild

für kinder

freunde 

gemeinschaft

 

das große ganze

erblüht

 

woher ich das weiß

ich schaue in mich hinein

 

 

 

 

 

 

55

 

 

 

ein neugeborenes

erzählt von tao

 

ein bündel purer energie

weich

biegsam

kraftvoll strampelnd

schreit aus vollem halse

ohne heiser zu werden

weiß nichts von sexualität

sein glied ersteift 

in reiner unschuld

 

 

im einklang mit tao

handle ich aus dem bewusstsein 

des ständig neu geborenen 

meine lebenskraft 

gleicht einem immer währenden feuer

 

 

 

 

 

 

56

 

 

 

                    sein oder schein

 

ich weiß

spreche nicht

 

ich spreche

weiß nicht

 

worte

gefühle

stimmungen 

geschichten

sind wellen die kommen und gehen

 

ich bin der ozean

                    fließe mit tao

 

weder zuneigung noch abneigung

gewinn noch verlust

erfolg noch mißerfolg 

sind von bedeutung

 

hingabe passiert

im ewigen sein

 

 

 

 

 

 

57

 

 

 

führe ich krieg 

brauche ich strategie und gewalt

regiere mit  recht und kontrolle

 

verbote entheben der verantwortung

hilfsgelder schmälern die selbstachtung

gesetze schaffen gesetzesbrecher

 

                     lebe ich tao

                     führe ich menschen wahrhaft

                     frieden entsteht ohne waffen

 

ich mische mich nicht ein

handle im nicht handeln

bevorzuge die stille

 

 

 

 

 

 

58

 

 

 

die welle des glücks

entspringt dem tal des unglücks

 

das tal des unglücks

verbirgt sich in der welle des glücks

 

will ich andere glücklich machen

ist unglück schon in sicht

 

ich spreche klar und direkt

ohne zu verletzen

 

weise auf fehler hin

ohne recht zu haben

 

handle

ohne zu manipulieren

 

strahle

ohne zu blenden

 

 

 

 

 

 

59

 

 

 

führe ich menschen 

braucht es einfachheit

 

in der einfachheit

fließe ich mit tao

 

fließe ich mit tao

bin ich ohne wünsche

 

ohne wünsche 

bin ich hingebungsvoll wie die natur

 

in der hingabe

kann ich die dinge nehmen wie sie sind

 

kann ich die dinge nehmen wie sie sind

lebe ich tao

 

lebe ich tao

schaue ich die ewigkeit

 

 

 

 

 

 

60

 

 

 

ich leite menschen 

als würde ich kleine fische braten

bin sacht 

stochere nicht viel herum

führe sie im einklang mit tao

 

erkenne die dämonen

angst

gewalt

machtgier

fühle sie in meinem innern

 

leiste keinen widerstand

sie verlieren ihre wirkkraft

verschwinden von selbst 

 

 

 

 

 

 

61

 

 

 

tao 

stille

weiblich und männlich vereint

 

ein reiches land stellt sich unter ein armes

unterstützt und erkennt es an

 

ein armes land stellt sich unter ein reiches

findet im dienen anerkennung

 

sie dienen sich gegenseitig 

keiner muss sich verteidigen

 

jedes land ist wie ein fruchtbarer boden

in dem alle flüsse zusammenfließen

jeder ist willkommen

 

 

 

 

 

 

62

 

 

 

tao

allumfassend

niemand fällt aus ihm heraus

bietet dem einen schutz

ist dem anderen schatz

 

 

 

 

 

 

63

 

 

 

ich handle nicht der handlung wegen

schmecke nicht des geschmackes wegen 

 

entdecke großes im kleinen

einfaches in der fülle

 

begegne schwierigen situationen

mit präsenz

 

verspreche nichts

halte wort 

 

folge meiner intuition

will nichts erreichen 

 

eins mit tao

 

 

 

 

 

 

64

 

 

 

ein baum wächst aus einem samenkorn

eine reise beginnt mit dem ersten schritt

 

gebe ich acht auf das beginnen

wird mein werk gelingen

 

ich umhülle den keimling

ohne ziel und verlangen

                                 

in ruhe und achtsamkeit

entfaltet sich tao

 

 

 

 

 

 

65

 

 

 

wissen 

macht 

reichtum

sind äußere erscheinungen

 

ich vertraue der einfachheit

entdecke darin die fülle

 

bin vorbild

führe die menschen

im sinne tao

 

 

 

 

 

 

66

 

 

tao

wie das meer

empfänglich

jeden fluß aufnehmend

                                

                    ich vertraue meiner inneren führung

                    bin empfänglich

 

in dieser ergebenheit

ziehe ich menschen an

 

sie fühlen sich gesehen

gewürdigt

bleiben in ihrer verantwortung

entfalten ihr potential

 

 

 

 

 

 

67

 

 

 

tao folgen

 

ich sinke in mein innerstes 

entdecke die drei schätze 

präsenz

achtsamkeit

einfachheit

 

mit dem sein was gerade ist

es achten und würdigen 

                    überlasse ich mich dem wunder

 

 

 

 

 

 

                          68

 

 

 

ich bin mir meiner 

gefühle

empfindungen 

stimmungen bewusst

 

                     kenne meine stärken 

                     meine schwächen

 

                     bin bereit mich meinem gegenüber

  mit allem was ist offen zu zeigen

 

                     ich verspüre keinen impuls 

  widerstände jeglicher art auf andere

 zu projizieren 

 zu konkurrieren

 ihnen meinen willen aufzuzwingen

 

 

 

 

 

 

69

 

 

  

geht es in meinem leben

um gewinnen und verlieren

um strategie und taktik

findet widerstand in mir statt

 

ich bleibe in einem konflikt  präsent

fühle meine gefühle  

höre und sehe mein gegenüber 

                                

                    wie ein aikidoka

der in seiner mitte bleibt

seinem gegenüber ausweicht

ihm die chance gibt einsicht zu erlangen

 

 

 

 

 

 

70

 

 

 

will ich tao logisch verstehen

gar philosophisch erhöhen

 

mit dem herzen gehört

mit dem herzen geschaut

ist tao leicht zu begreifen 

leicht zu erleben

 

quelle allen seins

wie kann mein verstand tao je erfassen

 

 

 

 

 

 

71

 

 

 

glaube ich zu wissen

verhindere ich lebendigkeit und staunen

bin der illusion erlegen

 

ich weiß

dass ich nicht weiß

bin geheilt vom wahn des wissens

                                

             bin frei

 

 

 

 

 

 

                          72

 

 

                      

habe ich mich selbst erkannt

handle ich in demut

führe andere mit klarheit

stärke ihr vertrauen

 

sie handeln aus eigener autorität 

und verantwortung

können mir ohne angst begegnen

 

so habe ich macht im sinne tao erlangt

 

 

 

 

 

 

73

 

 

 

habe ich den mut

meiner natur zu folgen

das leben zu lassen

ohne einzugreifen

 

habe ich den mut 

ohne ziel

ohne etwas zu beweisen 

ohne bedeutend zu sein 

einfach nur als mensch zu leben 

 

tao 

verhält sich still

gibt antwort

handelt nicht

erschafft alles

bleibt bescheiden

ist groß

einfach

allumfassend

 

wie ein netz umhüllt es alles

weitmaschig

nichts geht verloren

 

 

 

 

 

 

74

 

 

 

der tod

teil des lebens

 

fürchte ich ihn 

bin ich bereit über andere zu richten

 

die angst vor dem tod 

führt zum töten

 

habe ich die angst überwunden 

bin ich frei 

 

 

 

 

 

 

75

 

 

 

will der eine immer mehr

bleibt die schale des anderen leer

 

benutzt der eine seine wut

verliert der andere seinen mut

 

der der so am leben hängt

dem tod nur verachtung schenkt

 

der der nicht am leben klebt

weiß wie er es gelassen lebt

 

der der das leben wenig stört

ist der der das leben wirklich hört

 

 

 

 

 

 

76

 

 

 

weich werden wir geboren

 

der mensch formt den menschen

mancher wird dabei hart

 

ist der mensch sanft 

biegsam

fließt mit dem leben

bleibt er weich und lebendig

 

ist der mensch unbeugsam

kontrollierend 

im wiederstand 

wird er hart 

ist schon tot im leben

 

der harte wird ewig suchen

der weiche ist schon da  

 

 

 

 

 

 

77

 

 

 

übermaß und mangel 

zeugen von unausgewogenheit

 

der gierige  

nimmersatt 

im übermaß oder im mangel 

füttert er atemlos seine begierden

 

wer den bogen überspannt

schießt übers ziel hinaus

 

wer den bogen wenig spannt

schießt sich in den fuß

 

wer den bogen raus hat

ist trefflich im geiste

 

ich spanne meinen bogen so

dass jegliches wollen zurücktritt

mein höheres selbst gibt das ziel vor

ich ziele nach innen

 

pfeil und bogen

sind mittel

sich im inneren zu treffen

 

das ist taoart

 

 

 

 

 

 

78

 

 

 

weiches ist hart

schwaches stark

 

paradox scheinen wahre worte

 

nichts ist leichter 

sanfter 

unsichtbarer als luft

zu einem sturm entfacht

entwurzelt sie bäume

formt aus stillem wasser 

flutwellen die alles wegschwemmen 

 

ich bin

äußerlich weich 

schwach

unscheinbar

innerlich hart 

stark 

präsent

 

 

 

 

 

 

79

 

 

 

werden verträge gebrochen

absprachen nicht eingehalten

entsteht verletzung

schuldzuweisung 

groll 

sind die folge

 

poch ich auf mein recht

nimmt das drama kein ende

 

ich erfülle meinen teil der abmachung

mache mich nicht abhängig

von denen die es nicht tun

ich kann sie nicht weise machen

 

 

 

 

 

 

80

 

 

 

ich schaue mein inneres Land

 

ist es groß

ist es klein

 

wie ist seine form

gibt es grenzen

 

ist es hell

ist es dunkel

 

sehe ich andere lebewesen

oder bin ich allein

 

fühle ich mich genährt

oder im mangel

 

ist dort frieden 

oder aufruhr

 

welche gefühle entstehen in mir

wenn ich mein land schaue

 

kann ich mich mit allem was dort ist verbinden

oder entsteht in mir der wunsch zu flüchten

 

ich schaue mein inneres land

und habe mich erkannt

 

 

 

 

 

 

81

 

 

 

wahre worte sind direkt 

klar 

absichtslos 

 

schöne worte sind indirekt

unklar 

absichtsvoll

 

sie wollen schmeicheln

überzeugen

herausragen 

stellen die eine meinung ins licht

die andere in den schatten

 

wahre worte sind nicht schön

schöne worte sind nicht wahr

 

                     nicht reden

 

                     tao leben

 

 

 

 

 

 

Das tao te king ist wahrscheinlich der am meisten übersetzte und interpretierte Text der Welt. Das ist  insofern keine Überraschung, da die Möglichkeit der unterschiedlichen Interpretationen durch die spezielle Struktur der chinesischen Sprache in gewisser Weise schon vorgegeben ist. 

„Das in Worte gefasste Tao ist nicht das wahre Tao.“ So beginnt das Tao Te King und etwas später, in Vers14 heißt es:„Du kannst das Tao nicht kennen aber es sein.“

Dennoch:„ Jedes Kind bekommt einen Namen, um über es zu sprechen.“ Und so wie jede Mutter und jeder Vater weiß, dass der Name nicht das Kind ist, denn das ist lebendig, unberechenbar und verändert sich ständig, so ist das hier vorliegende Tao Te King nicht das Tao. 

Während der Arbeit am Tao wurde uns immer wieder deutlich, dass das, was da eigentlich mitgeteilt werden möchte, nicht über den Verstand vermittelt werden kann. Weshalb das ganze Tao Te King konsequenterweise nur aus dem ersten Satz bestehen dürfte, oder noch radikaler: aus leeren Seiten! Immer wieder führt uns der Verstand in die Bewertung, in die Unterscheidung, will uns sagen was richtig, falsch oder besser ist.

Laotses Texte sind oft paradox, dem Leben näher als der Logik oder der Vernunft:„Schau und es ist nicht zu sehen – Horch und es ist nicht zu hören“. Diese Worte wollen uns nicht sagen, wo es lang geht oder wie wir leben sollen, sondern wollen eher wachrütteln und provozieren:„Gib das Lernen auf und deine Sorgen haben ein Ende!“ 

Nicht reden, tao leben.

 

Ingrid Weber und Stephan Schwartz  November 2015